Du ziehst in deine neue Wohnung nahe der Haltestelle Bundesplatz in Charlottenburg. Erstmal alles nice: Späti um die Ecke, super Döner, Bio-Laden, Yoga-Studio. Du chillst auf deinem Balkon, Instagrammst deinen Morgenkaffee – und dann siehst du es: Das Licht über der Tür zwei Häuser weiter. Ein Bordell. Mitten im Wohnblock. Und plötzlich stellst du dir die Frage: Wait, ist das normal?
Short answer: Ja. Long answer: Berlin wäre nicht Berlin, wenn es nicht genau das wäre – ein Ort, wo extreme Vielfalt nebeneinander existiert, ohne dass jemand an die Decke geht. Aber wie geht das genau? Und warum ist das Thema gerade jetzt so heftig, wo überall Gentrifizierung und Mietenwahnsinn herrschen?
Wenn der Kiez aufwacht und das Rotlicht noch leuchtet
Fakt ist: Berlin ist im Wandel. Und der Wandel ist schneller als dein letztes Tinder-Match. Was vor zehn Jahren noch ein normalers Viertel war, ist heute Insta-worthy. In Charlottenburg, Wilmersdorf, um den Bundesplatz herum – überall, wo früher normale Mischung aus Altbau und Gewerbe lockte, kommen jetzt teure Cafés, Airbnbs und Designer-Budenhäuser.
Und genau da knallt’s:
Das Bordell, das seit 20 Jahren dort ist, ist plötzlich mit Anzeigen von „ruhigen Familienwohnungen“ umgeben. Die neue Nachbarin mit Babykrankenwagen guckt komisch, wenn abends Kundschaft rein- und rauslatscht. Der Hipster-Besitzer vom Craft-Beer-Laden nebenan will „mehr Wertigkeit für den Kiez“ – Code für: „Ich hab keinen Bock auf Rotlicht-Kundschaft vor meinem Shop.“
Das ist NIMBY-Energy in Perfektion: „Ja, Sexarbeit soll legal sein – aber bitte nicht vor meiner Haustür.“ Fakt ist aber: Die Bordelle waren zuerst da. Sie sind Teil der Kiez-DNA, mieten Gewerberäume, zahlen Steuern, schaffen Arbeitsplätze. Sie sind Teil der lokalen Wirtschaft – und zwar nicht als Shady-Underground, sondern als legitime Betriebe.
Real Talk: Wie ist das wirklich, nebenan zu wohnen?
Die meisten Berliner, die tatsächlich neben einem Bordell leben, sagen: „Eigentlich ist’s mega entspannt.“
Klar, gibt’s abends etwas Betrieb. Aber das ist nicht anders als neben einem anderen Nachbarn. Die Betriebe haben strenge Hausregeln: Ruhezeiten werden eingehalten, Kundschaft wird moderiert. Die Hausdame ist quasi die „Kiez-Managerin“, die dafür sorgt, dass die Balance stimmt: gutes Business für die Girls, aber kein Stress für die Nachbarn.
Ein echter Gamechanger ist: Sexarbeiter sind keine Party-People, die randalieren. Sie wollen ihre Ruhe, ihre Sicherheit, ihre Anonymität. Sie sind Fachleute, die ihre Arbeit ernst nehmen – und zwar so, dass es nicht auffällt. Die besten Betriebe sind die, von denen du garnicht weißt, dass sie da sind – bis du eben doch mal drüber stolperst.
Die wahren Lautsprecher im Kiez sind oft nicht die Bordelle, sondern die neuen Cafés mit Außengastronomie und lauter Musik. Ironie des Schicksals: Der „family-friendly“ Hipster-Laden macht mehr Krach als das „verruchte“ Bordell.
Kitas, Cafés, Spätis, Bordelle – eine Symbiose?
Jetzt wirds richtig interessant: Bordelle sind Teil der Kiez-Infrastruktur.
Das Späti nebenan profitiert von Kundschaft, die nach der Schicht noch was trinken will. Das Café gegenüber hat morgens die Sexarbeiterinnen als Gäste, die nach der Nachtschicht einen Kaffee brauchen. Die Kita in der Nähe? Ist überhaupt kein Problem – Betriebe haben tagsüber Ruhezeiten, und die Kinder kommen nie mit dem Rotlicht in Kontakt.
Es ist wie ein Ökosystem: Jeder profitiert, jeder hat seinen Rhythmus. Die Betriebe zahlen Gewerbesteuer, die Mieten sind stabil, und die Sicherheit im Kiez ist höher – weil ein laufender Betrieb mit Security mehr Sicherheit bringt als ein leerer Hof.
Gentrification-Bullshit vs. Kiez-Kultur
Hier wird’s politisch: Die neue Oberschicht, die in den Kiez zieht, will oft „aufwerten“ – was leider meistens heißt: „alte Bewohner und Nutzungen rausdrängen.“ Bordelle sind dabei ein leichtes Ziel. Sie passen nicht ins Bild von „sauberem, familienfreundlichem Kiez“. Sie sind „anrüchig“, „stören das Image“.
Aber Fakt ist: Berlin hat nie ein „sauberes“ Image gehabt. Berlin ist gerade deshalb cool, weil es vielfältig, bunt, anarchisch ist. Weil hier alles nebeneinander existieren kann. Weil hier nicht alles perfekt sein muss, um wertvoll zu sein.
Wenn Betriebe durch Gentrifizierung verdrängt werden, dann ist das nicht „Wertsteigerung“, sondern Verlust an Kiez-Identität. Denn was kommt stattdessen? Ein weiterer überfüllter Coffee-Shop, dessen Espresso 5 Euro kostet und dessen Besitzer sich über „die alten Zeiten“ beschwert, die er selbst zerstört hat?
Hausgemeinschaft & Real Talk: Was Nachbarn wirklich sagen
Die meisten echten Berliner – die, die hier seit Jahren leben – haben kein Problem mit Rotlicht. Sie wissen: Es ist Teil der Stadt. Sie grüßen freundlich, gehen ihrer Wege, leben ihr Leben.
Die Probleme kommen oft von Neu-Berlinern, die aus Kleinstädten herziehen und mit Vorstellungen ankommen, die mit Berliner Realität nichts zu tun haben. Die dann plötzlich „für die Kinder“ argumentieren, obwohl die Kinder seit Jahren neben dem Bordell spielen und keinerlei Kontakt haben.
Die Hausgemeinschaft? Die ist oft erstaunlich entspannt. Gerade in Berlin gibt es ein „leben und leben lassen“, das fast schon philosophisch ist. Die Hausverwaltung will nur, dass die Miete kommt und kein Ärger mit dem Bezirksamt entsteht. Und der Betrieb ist da ein super Mieter: pünktlich, zuverlässig, keine Beschwerden.
Was kannst du tun, wenn du nebenan wohnst?
Erstens: Chill.
Wirklich. Das ist Berlin. Rotlicht gehört dazu wie der Späti und Döner um 5 Uhr morgens.
Zweitens: Respekt statt Vorurteil.
Die Menschen, die da arbeiten, sind genau das – Menschen, die arbeiten. Sie wollen nicht dein Drama, sie wollen ihren Job machen. Grüß freundlich, mach dein Ding, und alles ist gut.
Drittens: Kein NIMBY-Energy.
Wenn du für „Kiez-Vielfalt“ bist, dann meine das auch ernst. Auch das Bordell ist Teil davon. Und wenn es wirklich mal Probleme gibt (Lautstärke, Müll, was auch immer), dann sprich direkt mit der Hausdame – die will das meistens noch schneller lösen als du.
Viertens: Informiert sein.
Sexarbeit ist legal. Betriebe sind legale Gewerbebetriebe. Die haben Rechte – und Pflichten. Und sie schützen ihre Worker und ihre Nachbarn. Das ist mehr, als man von manch anderen sagen kann.
Der Kiez braucht Vielfalt, nicht Vereinheitlichung
Berlin ist nicht München. Berlin ist nicht Frankfurt. Berlin ist Berlin, weil hier alles drin ist: der Künstler, der Punk, der Investor, der Späti-Besitzer, der Sexarbeiter, die alleinerziehende Mutter, der Kitaleiter.
Wenn wir anfangen, Teile dieses Ökosystems rauszukicken, weil sie nicht ins „saubere“ Bild passen, dann zerstören wir genau das, was diese Stadt ausmacht.
Bordelle sind keine Bedrohung für den Kiez. Sie sind Teil des Kiezes. Sie sind Teil der Wirtschaft, Teil der Kultur, Teil der Geschichte. Und sie sind hier, weil Menschen sie brauchen – als Arbeitsplatz, als Dienstleistung, als Angebot.
Der nächste, der dir erzählt, „dass das Bordell doch weg muss, weil jetzt Familien hier wohnen“, kannst du ganz entspannt entgegnen:
Familien und Bordelle haben hier seit Jahrzehnten prima nebeneinander gelebt. Das einzige, was neu ist, sind deine Vorurteile.
Welcome to Berlin. Deal with it.